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Verschwörungserzählungen in der Psychotherapie: Satanic panic


Verschwörungserzählung über "satanistische dunkle Eliten"


Es gibt sexuellen Missbrauch, ohne jeden Zweifel, das zeigt zum Beispiel der Missbrauchsfall Lügde.


Außerdem gibt es seit vielen Jahren Verschwörungserzählungen über Missbrauch. Das berichtete zum Beispiel im Jahr 2018 die Kriminalpsychologin Lydia Benecke oder die Sekten-Information NRW im Jahr 2020. Das Tragische ist, dass durch Falschinformationen wie diese Menschen erheblich zu Schaden kommen. Opfer von Gewalt und Missbrauch können durch Falschinformationen an Glaubwürdigkeit verlieren. Patient*innen und ihre Bezugspersonen werden geschädigt. Zusätzlich können Verschwörungserzählungen gesamtgesellschaftliche Probleme hervorbringen, zum Beispiel wenn Menschen kein Vertrauen mehr haben in Qualitätsmedien, die Wissenschaft oder in staatliche Organisationen.


Notwendig ist daher immer eine differenzierte Darstellung: Welche Phänomene gibt es und welche nicht?


Im Wahn der Therapeuten

Das ist der Titel eines SPIEGEL-Artikels über "Vermeintliche Opfer ritueller Gewalt". 83 Psychotherapie-Sitzungen Traumatherapie führte die Psychotherapeutin Jutta Stegemann durch laut SPIEGEL.


Das zugrunde liegende Störungsmodell und Therapie-Rational scheint zu sein: Symptome sind immer Ausdruck von verdrängten Traumata - deswegen deckte die Psychotherapeutin die Rätsel des Unbewussten auf bei ihrer Patientin. Ergebnis:


"Ohne dass sie sich dessen bewusst sei, werde sie bis in die Gegenwart gefoltert und missbraucht", habe die Psychotherapeutin erklärt und das Jugendamt informiert: Ihre Patientin sei satanisch programmiert und in viele Persönlichkeiten aufgespalten worden von den Satanisten, sie habe nämlich eine Dissoziative Identitätsstörung (DIS). Das Familiengericht entzog auf Basis der Expertise ihrer Psychotherapeutin das Sorgerecht der Patientin für ihre Tochter.


Der SPIEGEL-Artikel zeigt zudem systemische Problem in der Psychotherapie, genau wie vor ein paar Jahren als Michael Winterhoff kritisiert wurde für seine Diagnostik und Therapie. Psychotherapeutenkammern akkreditieren Fortbildungen als wissenschaftlich, in denen man lernen kann, dass Deutschland von satanistischen Eliten unterwandert ist. Ich vermute, unter Psychotherapeut*innen ist diese spezifische Verschwörungserzählung nicht sehr weit verbreitet. Weiter verbreitet ist aber die Ablehnung der Standards der wissenschaftlichen, empirischen Psychologie. Auch das kommt im Artikel zum Ausdruck. Der Glaube an eine pseudowissenschaftliche Theorie führt für Nicht-Gläubige zu absurd wirkenden Äußerungen: Die Psychotherapeutin gab vor dem Gericht zu Protokoll, dass bei der DIS der Wechsel der Persönlichkeit auch zu einem »Wechsel der Augenfarbe« ihrer Patientin führt.


"Psychologisch unplausible Phänomene"


In einer Stellungnahme der Fachgruppe Rechtspsychologie der Deutschen

Gesellschaft für Psychologie (DGPs) heißt es, es gebe erhebliche begründete Zweifel an psychologisch unplausiblen Phänomen wie "Verdrängung". Dennoch gibt es Psychotherapeut*innen in Deutschland, deren Behandlung auf solchen Störungsmodellen und Therapierationalen aufbauen.


Pseudowissenschaftliche Theorien: "extrem besorgniserregend"

Der Berufsverband deutscher Psycholog*innen (BDP) schreibt in seiner Stellungnahme: Die Verbreitung der von pseudowissenschaftlichen Theorien in der Psychotherapie, die von staatlichen Institutionen als wissenschaftlich anerkannt wurden, sei "extrem besorgniserregend".


Auch in der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform warnen Niehaus & Krause (2023), dass in Deutschland der Konsens in Gefahr ist, dass (forensische) Psychologie auf naturwissenschaftlichen Standards beruht.


Die Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs

In ihrem 2011 veröffentlichten Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Dr. Christine Bergmann, heißt es: "Ein Blick in die vorhandene Forschung zu ritueller Gewalt zeigt, dass es weder eine einheitliche Definition gibt, noch einheitliche Standards zur Phänomenerfassung vorhanden sind". Bereits 1998 habe der Bundestag durch eine Enquete-Kommission festgestellt, dass es an Wissen fehle über rituelle Gewalt.


Der Abschlussbericht führt dann anekdotische Evidenz an und stellt in Widerspruch zum oben genannten dar, es gebe Menschen, die durch mind control "umprogrammiert" werden, mit "satanistischem Hintergrund" (S. 221 des Berichtes).


Weil das unglaublich sei, glaube man den Opfern ritueller satanistischer Gewalt nicht.


Meiner Meinung nach geht der Abschlussbericht nicht auf das selbst angesprochene Hauptproblem ein, nämlich dass es sich bei den Äußerungen um einen Zirkelschluss handelt. Die anekdotische Evidenz baut auf der Behauptung auf, es könne natürlich kein Nachweis erbracht werden über den weit verbreiteten rituellen satanistischen Missbrauch durch Eliten, da es ja dessen Eigenschaft sei, immer im Verborgen stattzufinden. So wird auch argumentiert, dass Menschen, die sicher sagen, niemals Opfer von satanistischem rituellen Missbrauch geworden zu sein, dies natürlich nicht erinnern können, da bei Ihnen eine Amnesie erzeugt wurde.


Dokumentation von Robin Rehman im SRF

Das Schweizer Fernsehen veröffentlichte ab Dezember 2021 Dokumentation über rituelle satanistische Gewalt. In den Film wird gezeigt, dass Psychotherapeut*innen bzw. Psychiater*innen auf Verschwörungserzählungen ihre Theorie und Praxis der Psychotherapie aufbauen. Im SRF heißt es über satanistischen rituellen Missbrauch:


"Recherchen vom SRF Reportage-Format «rec.» zeigen Haarsträubendes: In mindestens drei Schweizer Psychiatrischen Kliniken ist diese Verschwörungstheorie in die Behandlung von Patientinnen eingeflossen. Demnach leben und lebten Patienten mit der Vorstellung, von einem unbekannten, satanistischen Täterkreis missbraucht zu werden oder gar selbst Teil dieses Zirkels zu sein und bei rituellen Sessions Babys aufzuschlitzen oder deren Blut zu trinken. Doch in der Realität gibt es keinerlei Beweise für eine solche Täterschaft."



Die Journalist*innen konnten zeigen, dass Psychotherapie auf Grundlage von verdrängten Erinnerungen an stattgefundenen satanistischen Missbrauch durchgeführt wurde. Sie berichteten zum Beispiel von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid, der Traumatherapie-Station Panorama C, die durch die Deutsche und Europäische Akademie für Psychotraumatologie zertifiziert sei.


Psychotherapeut*innen sind davon überzeugt, bei Patient*innen zu erkennen, dass sie Opfer wurden von rituellem satanistischen Missbrauch. Sie meinten aufzudecken, durch ihr wissenschaftliches Psychotherapieverfahren, dass Patient*innen eine Art Gehirnwäsche bekommen, mind control. Die diagnostiziere psychische Störung, die dissoziative Identitätsstörung (DIS), werde nur zu diesem Zweck gezielt von den Tätern hervorgerufen. Stattgefunden haben in der Psychiatrie Clienia Littenheid auch "wissenschaftliche" Fortbildungen zu diesem Thema für das Gesundheitspersonal.


Im SRF-Film wird auch die Arbeit des Vereins Cara gezeigt. Cara steht für Care About Ritual Abuse. Der Verein bietet Fortbildungen an für Psychotherapeut*innen, Journalist*innen, Richter*innen und so weiter über rituellen satanistischen Missbrauch durch verborgene Eliten:


«Es wird gequält und gemacht bis zum Tod. Oft wird das Blut getrunken und das Fleisch gegessen», sagt Cara-Präsident Fritz Bamert.

Die NZZ hat über diese Form der Psychotraumatologie so berichtet: https://www.nzz.ch/schweiz/satanic-panic-in-der-traumastation-ld.1715199


Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Lexperience AG


Theorien und Vorgehensweisen in der Psychotherapie und Psychiatrie sind manchmal Gegenstand einer juristischen Überprüfung. So auch in diesem Fall.


Das diagnostische und psychotherapeutische Vorgehen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid wurde durch zwei Gutachten bewertet. Diese Gutachten widersprechen sich scheinbar völlig:


  1. Das von der Clienia Littenheid in Auftrag gegebene Gutachten von Prof. Dr. med. Martin Sack und Prof. em. Dr. med. Ulrich Schnyder sei, zu einem völlig entlastenden Ergebnis gekommen, teilte die Klinik mit.

  2. Der im Dezember 2022 veröffentlichte unabhängige Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Lexperience AG kommt zum genau gegensätzlichen Ergebnis: Zum einen stehe im oben genannten Gutachten in Wahrheit, dass es sich bei den Psychotherapiekonzepte der Trauma-Station der Clienia Littenheid nicht um evidenzbasierte wissenschaftliche Konzepte handele, denn für den Einsatz "psychodynamischer Elemente" liegt "keine wissenschaftliche Evidenz" vor. "Die Behandlungskonzepte beider Traumatherapie-Stationen der Klinik Littenheid fußten praktisch ausschließlich auf den psychodynamischen Konzepten" des Schweizer Instituts für Psychotraumatologie (SIPT), dieses wiederum sei eng verbunden mit der Mehrdimensionalen Psychodynamischen Traumatherapie (MPTT) nach Gottfried Fischer. Das sei "ein echtes Problem" laut Gutachten. Die Klinik habe zudem versucht, die kritischen Angaben im Gutachten über die nicht evidenzbasierte psychoanalytisch orientierte Psychotherapie vor Veröffentlichung des Gutachtens zu entfernen. Zum anderen sei die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt / Mind Control» in der Psychotherapie der Traumastation verbreitet durch Behandler*innen. Auch Fortbildungen in der Klinik von der Psychotherapeutin Claudia Maria Fliß aus Bremen über satanistische rituelle Gewalt wird als Teil der Verschwörungserzählung bewertet. Der Psychologe Franz Caspar kommt über die Angaben von Claudia Maria Fliß zu einem vernichtenden Ergebnis: Claudia Maria Fliß würde Psychotherapeut*innen dazu verleiten, bei Patient*innen false memories zu erzeugen.


Franz Caspar erklärt, dass Psychotherapieverfahren, die "Immunisierungsstrategien" nutzen, fatal sind. Immunisierung bedeutet: Jeder Einwand gegen eine Äußerung wird zum Beweis dafür erklärt, dass die Äußerung stimmt. Ein Beispiel ist die Idee, dass Traumata ins Unbewusste verdrängt werden; wenn Patient*innen Traumata nicht wirklich berichten können oder sogar eindeutig ablehnen: Dann zeige gerade das (der Widerstand ) umso mehr, dass ein Trauma der Problematik zugrunde liegen kann. Ein weiterer Gutachter kommt im Untersuchungsbericht zum Ergebnis, dass die Ideen von Claudia Maria Fliß "unverantwortlich" seien.


Update des SRF vom 16.03.2023

Der SRF recherchierte, wie sich die Aufdeckung der nachweislichen Verschwörungserzählung auswirkte auf die Psychotherapeut*innen: Die Satan-Verschwörer*innen therapieren weiter, genannt wird im Bericht die Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Les Toises.


"Die Therapeutinnen erzeugen eine Erinnerung, die es vorher nicht gegeben hat und für die die reale Grundlage fehlt",

sagt Frank Urbaniok.


Der sogenannte "Fall Nathalie"

Die Basler Zeitung berichtete in den Jahren 2020 und 2021 mehrfach, dass die 8-jährige Nathalie Opfer von satanistischer ritueller Gewalt wurde. Die Journalist*innen stützen ihre Berichterstattung auf den renommierten Psychiater Werner Tschan, der die Verschwörungserzählung verbreitete:


«Gerade im Bereich der rituellen Gewalt gehen wir davon aus, dass die Opfer gekonnt präpariert werden – mit Gewaltdrohungen und dem gezielten Einsatz von Drogen. Man spricht von Mindcontrol und Programmierungen»

Im Mai 2022 entschuldigte sich die Basler Zeitung für die Darstellung der rituellen satanistische Verschwörungserzählung als Tatsache und löschte ihre Artikel von der Website. Im November 2022 veröffentlichte Mirjam Kohler eine Aufarbeitung:



Auch die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelte zum Fall Nathalie: Es gab die Fantasie, dass Natalie Opfer eines Mannes wurde, der von den Boulevard-Medien Waldrambo genannt wurde.


Verschwörungserzählung auch in Deutschland

Nach der Berichterstattung des SRF wurde von funk, nämlich von Y-Kollektiv, recherchiert, ob es diese Verschwörungserzählung auch in Psychotherapien in Deutschland gibt. Ihre Recherchen zeigen, dass auch Psychotherapeut*innen in Deutschland Traumatherapie auf der Grundlage verdrängter Erinnerungen machen - bis durch Suggestivfragen in Langzeittherapien die Patient*innen "annehmen" können, dass sie missbraucht wurden. Die Dokumentation von Juli 2022:



Eine alte Verschwörungserzählung


Der Glaube an die satanistische rituelle Verschwörungserzählung war vor vielen Jahrzehnten in den USA populär geworden in weiten Teilen der Bevölkerung und besonders unter Psychotherapeut*innen - bis ausführliche juristische Ermittlungen gezeigt haben, dass die Erzählungen über rituellen satanistischen Missbrauch alle ausgedacht waren.




Die satanic panic in den USA umfasste nachweislich über 12.000 unbegründete Fälle satanischen rituellen Missbrauchs. Dieser feste Glaube an etwas, das es nicht gab, wurde 1980 stark vorangetrieben mit der Veröffentlichung von "Michelle Remembers". Dieses Buch stammt von dem kanadischen Psychoanalytiker Lawrence Pazder - der seine Psychotherapiepatientin Michelle Smith heiratete und mit ihr dann gemeinsam dieses Buch verfasste. Nach einer Langzeittherapie mit Hunderten Psychotherapiestunden habe sich Michelle durch das Durcharbeiten an den satanischen Missbrauch erinnert. Das Buch wurde zum Bestseller. Michelle Smith trat sogar bei Oprah Winfrey auf.


Die Verschwörungserzählung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde es als plausibel dargestellt, dass in Deutschland eine organisierte satanistische Elite operiert, die im Verborgenen jahrelang unerkannt systematisch Menschenopfer darbringt.


Ein Einblick in die Dokumentation "Höllenleben" von Liz Wieskerstrauch, die im Hessischen Rundfunk und in der ARD lief:

Dokumentation "Höllenleben" von Liz Wieskerstrauch


Aus aussagepsychologischer Perspektive fällt im Film auf, dass die Journalist*innen häufig suggestive Fragen stellen, teilweise beantworten sie ihre Fragen selbst, indem sie für die Protagonistin Sätze beenden.


In der Dokumentation bestätigt die Psychotherapeutin Claudia Bommert die Verschwörungserzählung und berichtet von mind control durch rituelle Sekten: Diese führen eine "Gehirnwäsche" durch.


"Im dritten Reich, da wurde auch ganz viel zu gemacht. Funktionieren tut es durch das Konditionierungsschema, was wir Psychologen kennen"


Auch in der Dokumentation Höllenleben wird deutlich, wann Psychotherapeut*innen besonders anfällig sind für die Verschwörungserzählung satanistischer ritueller Gewalt...

  • ... wenn sie die Lerntheorien zur Konditionierung falsch verstanden haben

  • ... wenn sie einer Theorie des Unbewussten anhängen und glauben, dass Missbrauchserfahrungen in ein Unbewusstes verdrängt würden

  • ... wenn sie einem Psychotherapie-Rational anhängen, dessen Kernelement das Bewusstmachen verdrängte Traumata ist.


Eine Psychotherapie, die auf dieser Theorie (im umgangssprachlichen Sinn) basiert, wird im Englischen als recovered memory therapy bezeichnet. Auch wenn diese Bezeichnung im Deutschen überhaupt nicht geläufig ist, wird diese Vorgehensweise in Psychotherapien in Deutschland angewandt wird.


Die Filmemacherin Liz Wieskerstrauch schreibt auf ihrer Website, dass sie einen weiteren Film über organisierte rituelle Gewalt drehen möchte. Aber, "bedauerlicherweise haben die Sender heutzutage diesen Mut nicht" und "die Medien" und "die Justiz" würden gezielt wegschauen. Die 347.000 EUR für den Film werde sie nun durch private Spenden sammeln. Dafür blendet sie u.a. diese Unterstützer*innen ein: Michaela Huber, Cara (Care About Ritual Abuse), die Software AG.




Halloween 2020: Die satanische Panik ist wieder da


Diese alte Verschwörungserzählung wurde ab dem Jahr 2017 mit dem Aufkommen von QAnon wieder populärer. Besonders anfällig sind weiterhin Psychotherapeut*innen, wenn ihre zentrale Vorstellung ist, dass unter der Oberfläche, "in der Tiefe" die wirkliche Wahrheit verborgen ist (vgl. das Narrativ vom deep state). Hierzu berichtete 2020 Lydia Benecke auf einer Veranstaltung des Deutsch-Amerikanische Institut (DAI) anlässlich Halloween scherzhaft: Sie sind wieder da, diese gefährlichen Satanisten!



Traumatherapeut*innen würden regelmäßig Protestschreiben verschicken, um die unverantwortliche Leugnung der Opfer durch Lydia Benecke zu verhindern.



Sternstunde Religion

"Es macht mich bestürzt festzustellen, dass eine Verschwörungserzählung einzug in die Psychotherapie gefunden hat und vulnerable Menschen weiter schädigt!", sagt Robin Rehmann vom SRF.


In der "Sternstunde Religion" vom 31.01.2023 geht es um dieses Thema:


"Eine Verschwörungstheorie kursiert in der Schweiz: Satanisten-Zirkel würden im Untergrund Kinder quälen, sexuell missbrauchen und schlachten. Für die Anschuldigungen fehlt jeglicher Beweis. Woher also kommen sie und wie gefährlich sind Verschwörungstheorien?"


Die Moderatorin Olivia Röllin spricht mit der Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens und dem forensischen Psychiater Frank Urbaniok.


Dorothea Lüddeckens:

"Die Religionswissenschaft muss einfach klarmachen: Es gibt de facto diese satanistischen Netzwerke nicht, die fähig wären, Derartiges zu tun"

Falsche Beschuldigungen

Der forensische Psychiater Frank Urbaniok beschäftigt sich mit pseudowissenschaftlichen Theorien (im umgangssprachlichen Sinn) in der Psychotherapie und Psychiatrie. Pseudowissenschaftliche "Theorien" basieren nicht auf der wissenschaftlichen Methode (welche die Grundlage der Psychologie bildet). Begründet sind pseudowissenschaftlichen "Theorien" durch die Erfahrung und Einsicht einer Eminenz. Diese Theorien sind, wie auch von Franz Casper im Gutachten beschrieben, oft "immun" gegen Kritik, da ihr Gegenstand empirisch weder verifiziert noch falsifiziert werden kann. Genau diese pseudowissenschaftliche Strategie macht solche "Theorien" so erfolgreich. Man konnte sie empirisch nicht widerlegen in den letzten Jahrzehnten, weil sie per se niemals widerlegbar sind.



False Memory

Ein Gespräch mit der Psychologie-Professorin Aileen Oeberst von der FernUni Hagen im WDR 5 über falsche Erinnerungen:

„Das ist höchst relevant für die psychologische Praxis“. Das zeigten zum Beispiel die Wormser Prozesse.

Aileen Oeberst erklärt die wissenschaftliche Evidenz: Psychotherapie-Verfahren, die auf einem vermeintlichen Abwehrmechanismen der Verdrängung beruhen, bauen auf einem Missverständnis darüber auf, wie das Gehirn funktioniert.


Sie ist Hauptautorin einer Studie zur Erzeugung und Korrektur solcher falschen Erinnerungen. Zusammen mit Merle Wachendörfer, Roland Imhoff und Hartmut Blank erzeugte sie bei ihren Proband*innen Erinnerungen an Ereignisse, die es nie gab.


Vereinfacht gesagt, kann man sich das Versuchprotokoll so vorstellen: "Deine Eltern haben gesagt, als du 12 Jahre alt warst im Italienurlaub, da bist du verloren gegangen", wurde einem Probanden gesagt. Der Italien-Urlaub hatte tatsächlich stattgefunden, verloren gegangen ist der Proband aber in Wahrheit nicht. Durch die Suggestivfrage bestätigte über die Hälfte der Testpersonen jedoch, dass dieses Ereignis stattgefunden habe.


Aileen Oeberst sagt, falsche Erinnerungen kann man "nicht löschen", wenn sie erst einmal da sind. In der Studie wurden die Testpersonen aber aufgeklärt darüber, dass es falsche Erinnerungen gibt und was das bedeutet für unseren Umgang mit unserem Gedächtnis.


Ähnlich berichtet der Deutschlandfunk zum Thema Gedächtnisforschung: Manipulierte Erinnerungen.


Das trügerische Gedächtnis

Julia Shaw, in Köln geboren und in Kanada aufgewachsen, forscht als promovierte Rechtspsychologin am University College London. Ihr Buch "Memory Illusion", auch deutsch "Das trügerische Gedächtnis" wurde 2016 international zum Bestseller.


Auch bei der Wissenschaftssendung Quarks trat Julia Shaw auf und erklärte: "Unser Gedächtnis ist wie eine Wikipedia-Seite. Wir selbst können die Seite verändern, aber andere auch". Das Gehirn und somit auch das Gedächtnis funktionieren nicht wie ein Informationsspeicher, aus dem Inhalte einfach hervorgeholt werden.



Radiofeature des Bayerischen Rundfunks

Völlig anders berichtet der Bayerische Rundfunk im ARD-Radiofeature am 4.2.2023 beginnend mit der Frage: Falsche Erinnerungen?


Der Autor Michael Weisfeld versuche, "seinen Weg durch die kontroverse Debatte" um false memory zu finden. Sein Weg liegt darin, Aussagen von wissenschaftlich arbeitenden Psycholog*innen über false-memory infrage zu stellen:


"spielt das nicht den Tätern in die Hände?"

Das Radiofeature erinnert mich stark an die Berichterstattung der BILD über Christian Drosten. Die BILD hat nicht den wissenschaftlichen Konsens und davon abweichende Auffassungen dargestellt, sondern polarisiert: Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Vgl. den Beitrag in DIE ZEIT vom vom 27.05.2020. Das ARD-Radiofeature stellt die wissenschaftliche Forschung dar, als handele es sich um eine Meinungsverschiedenheit:

"Seit einigen Jahren wird immer heftiger gestritten"

Das finde ich interessant, in mehrfacher Hinsicht: Solche Formulierungen im Passiv kommen im Beitrag häufig vor: "es" wird gestritten. Dabei gibt es einen wissenschaftlichen Konsens, die Forschungslage ist recht eindeutig über das Phänomen false memory an sich - streiten kann man meiner Meinung nach, ob Psychotherapeut*innen in Deutschland ihre Arbeit auf Theorien aufbauen sollten, die anhand der wissenschaftlichen Evidenz in der Psychologie nicht haltbar sind. Zur Erinnerung, da es im BR-Beitrag nicht erwähnt wird: Nachdem in den USA in den 1990er Jahren zunehmend die Verschwörungserzählung über satanistische rituelle Gewalt verbreitet wurde, haben viele Menschen untersucht, wie diese Verschwörungserzählung entstehen konnte. Wie war es erklärbar, dass Menschen fest an eigenen Missbrauch glaubten, der nachweislich nicht stattgefunden haben kann? 1992 wurde die False Memory Syndrome Foundation (FMSF) gegründet, in deren wissenschaftlichem Beirat zum Beispiel Aaron T. Beck vertreten war. Die FMSF hinterfragte nicht nur den satanistischen Missbrauch, sondern auch die Validität der Diagnose "Dissoziative Identitätsstörung". Jedoch war die Gründung der FMSF selbst kontrovers diskutiert worden, unter anderem, da sie gegründet wurde als Verteidigungsorgan von Menschen, die beklagten, fälschlich des sexuellen Missbrauchs bezichtigt worden zu sein. Julia Shaw kritisiert auch die Bezeichnung false memory syndrome: Da es sich nicht um eine Krankheit handele bei diesem gut erforschten Phänomen sollte man nicht von "Syndrom" sprechen. Sozusagen als Ableger wurde False Memory Deutschland e.V. gegründet.


Der BR-Beitrag von Michael Weisfeld insinuiert einen Missstand: Der Verein False Memory Deutschland und die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) stecken unter einer Decke...

"Sie stießen alle ins gleiche Horn".

... und das bei dem bekannten sexuellen Missbrauch in der Evangelischen Kirche.


Es kommt im ARD-Radiofeature die ärztliche Psychotherapeutin Brigitte Bosse vom Traumainstitut Mainz zu Wort, die Leiterin des Arbeitskreises „Gegen Rituelle Gewalt in Rheinland-Pfalz“. Dieses Traumainstitut arbeitet laut Eigendarstellung auf diesen Grundlagen:

  • Psychodynamische Imaginative Traumatherapie (PITT®). Diese wurde erfunden von Luise Reddemann zur Arbeit mit „Täterintrojekten“.

  • Ausbildung bei Michaela Huber, die 2020 für den goldenen Aluhut nominiert war von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) wegen ihrer pseudowissenschaftlichen Ansätze und ihres Glaubens an Verschwörungserzählungen.

  • Somatic Experiencing (SE) nach Peter A. Levine, der die Ideen von Wilhelm Reich weiter entwickelte, dem "Entdecker" von Orgon.


Brigitte Bosse erklärt im Radiobeitrag die große Gefahr ihrer Arbeit. Wer aufdeckende Traumatherapie mache, werde auch in Deutschland bedroht: Schwarze Autos verfolgen die Therapeut*innen.

"Wir haben alle Angst, dass uns was passiert. Dass das Auto manipuliert wird!"

So zitiert der Beitrag eine Psychotherapeutin. Zu Wort kommt auch Adelheid Herrmann-Pfandt. Sie klärt in Vorträgen die Öffentlichkeit auf, dass viele Menschen sich nicht vorstellen können, dass es rituelle Gewalt wirklich gibt:


"Tatsache ist aber, dass Überlebende oft von religiösen Elementen erzählen, in die die Verbrechen der Täter eingebunden werden, wie etwa Musik, Tanz, Kerzen, magische Kreise und Symbole, ritueller Drogengebrauch, Opferrituale, Kannibalismus, veränderte Bewusstseinszustände oder Kreuze als Folterinstrumente"

Diese "Tatsache", auch über satanistische rituelle Gewalt, stehe fest, denn: Adelheid Herrmann-Pfandt habe "Überlebendenbefragungen" durchgeführt und da sei ihr das gesagt worden. "Es steht für mich fest", sagt sie im Radio-Feature, dass die rituelle Missbrauchs-Szene oft aus Nazis bestehen. Aussagen dieser Art kennen wir von der Satanic-Panic-Dokumentation des SRF: Oberarzt Dr. Matthias Kollmann von der Traumastation der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid - er wurde entlassen nach Ausstrahlung der Sendung. Das Radiofeature nennt Josef Mengele und beschreibt dann Mind Control in den KZs:


"Man konnte sehr viele Dinge ausprobieren: Wie man sadistisch Menschen quälen kann, wie man Menschen zu Robotern..."

Das sei ja das Ziel des rituellen Kultes... Dann beschreibt der Autor des ARD-Radiofeatures die ätiologischen Ideen, die dem Konstrukt "Dissoziative Identitätsstörung" zugrunde liegen als Fakt:


"Kleine Kinder können schwere Gewalterfahrungen nicht bewältigen, sie können sie nicht in ihr Bewusstsein integrieren...Bei ihnen entstehen oft mehrere Innenpersonen"

Meiner Meinung nach ist es wichtig, die Grundlage von Klassifikationssystemen zu kennen: "Psychische Störungen sind nicht grundlagenwissenschaftlich eindeutig definierte, feststehende Entitäten, sondern stellen letztlich nur nach dem aktuellen Stand der Forschung sowie für die Praxis sinn­volle und nützliche Konstrukte dar, auf die sich Forscher und Praktiker als bestmögliche Lösung für eine begrenzte Zeit geeinigt haben", heißt es in quasi jedem Lehrbuch der Psychologie. Per Abstimmung wird entschieden, ob es ein Phänomen "gibt" - oder eben nicht. Deswegen ist die Argumentation im ARD-Radiofeature, dass durch die Aufnahme in einem Klassifikationssystem quasi objektiv bewiesen sei, dass ein Phänomen "wirklich echt" ist unterkomplex.


In der ICD-10 der WHO wird die "Dissoziative Identitätsstörung" synonym gebraucht mit der "Multiplen Persönlichkeitsstörung" (F44.81 ICD-10) und befindet sich in der "Restkategorie" der "Anderen dissoziativen Störungen (Konversionsstörungen)":


Psychoanalytisch orientierte Psychotherapeut*innen wie die oben genannte Luise Reddemann versuchen seit vielen Jahren die Validität dieser Diagnose zu beweisen: In dem von ihr und Kolleg*innen verfassten selbst als "State-of-the-Art" -Artikel bezeichneten Paper sind wissenschaftlich exakt wirkende Aussagen zu lesen:


"In der Regel finden sich in einem Individuum acht bis zehn verschiedene Persönlichkeitszustände, allerdings werden in etwa 20 Prozent der beschriebenen Fälle auch sehr viel komplexere Aufspaltungen mit 20 und mehr „Personen“ gefunden"

Im Radiofeature heißt es über die Dissoziative Identitätsstörung, die fortan nur noch DIS genannt wird im Kontext von ritueller Gewalt:


"Man kann eine DIS gezielt herbeiführen"

Brigitte Bosse berichtet von mind control: Kinder würden systematisch konditioniert, man könne ihnen zum Beispiel einen neuen Vornamen einprogrammieren. Dazu müsse man eine bestimmte Konditionierungsprozedur solange wiederholen bis das Kind...


"automatisch mit dem anderen Namen aufwacht und dann zugänglich ist für Anweisungen"

Brigitte Bosse ist sicher: Traumata werden "abgespalten" damit sie "außerhalb des Bewusstseins bleiben": Deswegen könnten Menschen völlig gesund und normal leben - oberflächlich betrachtet, doch in der Tiefe seien psychisch extrem gestört, ohne es zu wissen (wissen zu können). Dann wird erklärt, dass mind control hervorragend funktioniere:

Die im Verborgenen operierenden Herrscher seien sehr reich.


Der Grund: Es gebe viele Menschen, die durch mind control ferngesteuert würden, diese Menschen könne man sehr gut weiter verkaufen an andere:


"Da geht es um sehr sehr viel Geld. Ein Mädchen, das von klein auf konditioniert wurde um dienlich zu sein im Bereich Kinderpornographie und Prostitution: Das ist eine Million wert"

Wie dieser Preis ermittelt wurde, bleibt im ARD-Radiofeature unbeantwortet und wird auch gar nicht hinterfragt.


Durch das ARD-Radiofeature zeigt sich eine Eigenschaft von Verschwörungserzählungen: Wer nicht an die Verschwörungserzählung glaubt, macht sich verdächtig. Könnte es sein, dass die Kinder missbrauchende Evangelische Kirche mit den Satanisten unter einer Decke steckt - es würde ja Sinn ergeben, insinuiert der Beitrag von Michael Weisfeld. Hilfreich ist es, sich die Artikel der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen einmal genauer anzusehen. Zum Beispiel in Ausgabe 7/2019 des Materialdienstes geht Andreas Hahn der Frage nach: "Rituelle Gewalt in satanistischen Gruppen - ein populärer Mythos?". Er zeigt, wie die Evidenz ist:

  • Es gibt Menschen, die überzeugt äußern, Opfer von rituellem satanistischen Missbrauch geworden zu sein.

  • Wenn Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet wurden, also die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaften ermittelt haben, gab es am Ende keine Anhaltspunkte für den rituellen satanistischen Missbrauch.



Was macht Verschwörungserzählungen so attraktiv?

Philipp Gollmer schreibt in der NZZ, es sei das Aufdecken der Rätsel, die Verschwörungserzählungen so reizvoll mache für viele Menschen. Die Vorstellung einer Wahrheit unter der Oberfläche, verborgen in der Tiefe ist interessant und noch spannender ist es, dieses Material aufzudecken und schließlich richtig zu deuten. Damit einher geht eine Aufwertung der eigenen Person, da man ja eine Gabe besitzt, die andere Menschen nicht haben, die nicht so "in die Tiefe" gehen. Es entstehe eine Dynamik: Wenn man erst einmal meint, solchen Rätseln auf der Spur zu sein, dann findet man schnell daa nächste und übernächste Puzzlestein... Man wird nicht über Nacht zum oder zur Verschwörungsanhänger*in. Es ist ein meist jahrelanger Prozess, das "Rabbit Hole" hinunter.

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